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Die Februar-Monatsversammlung der Grauen Panther war ein grosser Erfolg. Über hundert Pantherinnen und Panther fanden den Weg ins Quartierzentrum Bachletten. Der von Vorstandsmitglied Heinz Weber organisierte Anlass unter dem Titel «Weniger Medizin ist manchmal mehr» griff ein brennend aktuelles Thema auf. Denn immer mehr Behandlungen und Abklärungen werden durchgeführt, die nicht nur teuer sind, sondern auch den Patientinnen und Patienten oft mehr schaden als nützen.
Dr. med. Lars Clarfeld, Geschäftsführer von «smarter medicine», stellte seinem Referat ein Zitat des antiken Philosophen Epiktet voraus:  «Einem Arzt, der nichts verschreibt, zürnen die Kranken und glauben, sie seien von ihm aufgegeben.»
Natürlich gebe es auch die Gefahr einer Unterversorgung (zum Beispiel zu wenig Kinderärzte), so Clarfeld. Gerade in der Schweiz sei jedoch eine Überversorgung oder Fehlversorgung das Hauptproblem, weshalb sich «smarter medicine» darauf konzentriere. Sie verfolgt das Ziel, medizinische Massnahmen nur dann einzusetzen, wenn sie tatsächlich etwas bringen. Schätzungsweise 10 bis 20 Prozent der Kosten des Gesundheitswesens, so der Referent, würden unnötig ausgegeben. 
Für diese Überversorgung gebe es verschiedene Gründe: Doppelspurigkeiten im System (z.B. verspätete Berichte der Spitäler an die Hausärzte, fehlende Vernetzung der Leistungserbringen), Zeitmangel der Ärzte (es geht schneller, ein Medikament zu verschreiben als dem Patienten zu erklären, warum man noch zuwarten kann), finanzielle Fehlanreize (die «sprechende Medizin» wird unzureichend abgegolten), fehlendes Wissen (z.B. junge unerfahrene und unsichere Assistenzärzte veranlassen auch unnötige Analysen um sicher zu gehen), Angst vor juristischen Konsequenzen, aber auch die Erwartungshaltung der Patienten. Man glaube, dass nur die neuesten und teuersten Verfahren die besten seien, wolle möglichst schnell wieder gesund werden und meine, dass «ein guter Arzt etwas verschreibt».

Diese fünf Fragen sollten Sie Ihrem Arzt stellen
Hier will «smarter medicine» (zu Deutsch etwa: «schlauere Medizin») Gegensteuer geben. Die Bewegung wurde 2010 als «Choosing Wisely» in den USA gegründet. Inzwischen gibt es in über 20 Ländern vergleichbare Organisationen. 2017 wurde in der Schweiz der Trägerverein «smarter medicine» gegründet. Er ist inzwischen zu einer breit abgestützten Plattform geworden. Clarfeld betont, die Hauptmotivation sei eine qualitative Verbesserung der medizinischen Versorgung. «Einsparungen sind nur ein willkommener Nebeneffekt.» Das Engagement von «smarter medicine» dürfe nicht für politische Zwecke missbraucht werden. Die Vision sei eine «optimale und nicht maximals Gesundheitsversorgung.» Engagiert sind im Trägerverein zahlreiche Organisationen aus dem Gesundheitswesen, darunter auch drei Ärztenetzwerke und eine Reihe von Spitälern (aus der Region: Kantonsspital Baselland, Universitätsspital Basel).
«smarter medicine» setzt sich für einen Austausch auf Augenhöhe zwischen Patient und Arzt ein. Tipp: Gehen Sie immer vorbereitet an ein medizinisches Gespräch über Ihre Gesundheit und vergewissern Sie sich, dass Sie auf diese fünf Fragen eine Antwort erhalten:

1.    Gibt es mehrere Möglichkeiten?
2.    Was sind die Vor- und Nachteile?
3.    Wie wahrscheinlich sind diese?
4.    Was passiert, wenn ich nichts unternehme?
5.    Was kann ich selber tun?

Neben diesen fünf Fragen für Patienten animiert die Organisation auch die jeweiligen Fachgesellschaften fachlich belegte und wissenschaftlich anerkannte «Top-5-Listen der unnötigen Massnahmen» zu erstellen. Rund 20 Fachgesellschaften und Berufsorganisationen haben inzwischen bei «smarter medicine» entsprechende Listen eingereicht. Diese gelten als Empfehlungen. Aus seinem Bereich (Lars Clarfeld ist hauptberuflich Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine innere Medizin, SGAIM) nennt er den Einsatz von Antibiotikas. Dieser sei bei einer Entzündung der oberen Atmungsorgane in der Regel nicht, bei einer Lungenentzündung hingegen sehr angezeigt. 

«Schlauere Medizin» am Kantonsspital Baselland
Weitere konkrete Beispiele aus Forschung und Praxis schilderte im Anschluss Professor Jörg Leuppi, Chefarzt der medizinischen Universitätsklinik am Kantonsspital Baselland. Hatten Patienten mit Raucherlunge früher Atemnot, dann gab man ihnen während 2 bis 3 Wochen Cortison. In einer Studie hätten er und seine Mitarbeitenden zwei Gruppen miteinander verglichen. Eine Gruppe erhielt weiterhin zwei Wochen lang Cortison, die andere Gruppe nur während 5 Tagen. Es habe sich gezeigt, dass der Effekt bei der Gruppe mit nur fünf Tagen gleich gut gewesen sei wie bei der Kontrollgruppe. Nun gelte international eine Behandlungsdauer von 5 Tagen. Das zeige, wie wichtig die Forschung in diesem Bereich sei. Ebenso bedeutsam sei die Schulung der Mitarbeitenden. So habe im Kantonsspital Baselland die Anzahl der Blutproben innert Jahresfrist gesenkt werden können.
Die abschliessende Fragerunde, die Leuppi gleich selber moderierte, wurde rege benutzt. Dabei wurde u.a. nach dem Sinn von stationären Rehabilitationen nach orthopädischen Eingriffen gefragt. Es gelte, den Allgemeinzustand des Patienten und die Tragfähigkeit des privaten Umfelds mit einzubeziehen, meinte Leuppi. Die umstrittene Selbstdispensation (Medikamentenabgabe durch Ärzte) wollte Leuppi ebenfalls differenziert betrachtet haben. Wer weit weg von einer Apotheke lebe und nicht mehr sehr mobil sei, sei froh. Lars Clarfeld räumte ein, dass es sicher einige schwarze Schafe gebe. Doch auch bei der Abgabe durch Apotheken komme es vor, dass den Patienten noch zusätzliche frei verkäufliche Medikamente angeboten werden.

Martin Brodbeck